Das Wort zum Sonntag – 6. Sonntag der Osterzeit

Liebe Pfarrgemeinde!

Als der liebe Gott die Mutter erschuf, so heißt es in einer Erzählung, machte er bereits Überstunden. Da erschien ein Erzengel, schaute eine Weile zu und sagte dann: „Lieber Gott, Du bastelst aber schon lange an dieser Figur!“ Und Gott sprach: „Hast Du nicht die vielen speziellen Wünsche auf der Bestellung gesehen? Sie soll pflegeleicht, aber nicht aus Plastik sein. Sie soll 160 bewegliche Teile haben und Nerven wie Drahtseile. Einen Schoß, auf dem einige Kinder gleichzeitig sitzen können und trotzdem muss sie auf einem Kindersessel Platz haben. Sie soll einen Rücken haben, auf dem sich alles abladen lässt. Sie soll in einer überwiegend gebückten Haltung leben können, ohne Rückenschmerzen zu bekommen. Ihr Trost soll alles heilen, von der Beule bis zum Seelenschmerz. Sie soll sechs Paar Hände haben…“ Da schüttelte der Erzengel den Kopf und meinte: „Sechs Paar Hände, das wird nicht möglich sein.“ Der liebe Gott antwortete: „Die sechs Paar Hände machen mir keine Sorgen. Aber die drei Paar Augen, die sie haben muss.“ Wieder fragte der Erzengel: „Gehören die denn zum Standardmodell?“ Und der liebe Gott nickte: „Ein Paar Augen, das durch geschlossene Türen blickt, während sie fragt: „Was macht Ihr denn da drüben?“ – obwohl sie es längst weiß. Ein weiteres Paar im Hinterkopf, mit dem sie sieht, was sie nicht sehen soll, aber wissen muss. Und natürlich noch zwei Augen vorn, aus denen sie ein Kind ansehen kann, das sich unmöglich benimmt. Zu dem sie trotzdem sagt: „Ich verstehe Dich und hab Dich sehr lieb!“ – ohne dass sie ein einziges Wort spricht.“ „Du, lieber Gott!“, sagte der Erzengel und zupfte ihn leise am Ärmel, „geh jetzt schlafen und mach morgen weiter!“

Doch Gott erwiderte: „Ich kann nicht, denn ich bin nahe daran, etwas zu schaffen, das mir einigermaßen ähnlich ist. Ich habe es bereits geschafft, dass sie sich selbst heilen kann, wenn sie krank ist. Dass sie eine Lieblingsspeise für alle kochen kann. Dass sie eine Dreijährige davon überzeugen kann, dass Buntstifte nicht essbar sind. Dass sie einen Sechsjährigen dazu bringen kann, sich vor dem Essen die Hände zu waschen. Dass sie einem Zehnjährigen erklären kann, dass Füße überwiegend zum Gehen da sind und nicht zum Treten.“ Der Erzengel ging langsam um das Modell der Mutter herum, betrachtete es genau und seufzte dann: „Zu weich. Viel zu weich“. Doch Gott sprach: „Aber sehr zäh! Du glaubst gar nicht, was sie alles leisten und aushalten kann!“ Der Erzengel fragte: „Kann sie auch denken?“ Der liebe Gott lachte: „Nicht nur denken, auch diskutieren, urteilen und Kompromisse schließen – und vergessen.“

Noch einmal fragte der Erzengel: „Das alles könnte doch auch ein Roboter. Warum plagst Du Dich so mit diesem Modell?“ Der liebe Gott erklärte wieder: „Eine Maschine ist kalt und nicht sehr beweglich. Eine Mutter hat Gefühle, damit schenkt sie Wärme, Liebe, Geborgenheit, Geduld, Trost. Sie zeigt ihre Gefühle und gibt sie weiter. Sie ist das, was die Sonne für die Welt ist. Ohne sie ginge gar nichts. Alle brauchen sie.“

Schließlich beugte sich der Erzengel vor und fuhr mit einem Finger über Augen und Wangen. Dann rief er: „Da ist ein Leck! Das läuft was aus! Ich habe Dir ja gesagt, Du versuchst zu viel in das Modell hinein zu verpacken.“ Doch Gott erklärte: „Das ist keine undichte Stelle. Das ist eine Träne. Sie fließt bei Freude, Trauer oder Enttäuschung, bei Schmerz oder Verlassen-heit. Die Tränen sind das Überlaufventil!“

Da sagte der Erzengel voller Bewunderung: „Lieber Gott, Du bist ein Genie!“ Und Gott lächelte versonnen und sprach: „Ich weiß. Und darum ist mir eine gute Mutter so ähnlich.“

Ihr Pfarrer